Gravitationswellen: die Jahrhundert-Entdeckung

Hundert Jahre nach der theoretischen Vorhersage durch Albert Einstein messen Wissenschaftler am 14. September 2015 zum ersten Mal eine Gravitationswelle, die von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern ausgesandt wurde, als sie die Erde passiert.  Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) in Potsdam haben maßgeblich zu dieser Entdeckung beigetragen.

Porträtfoto von Serguei Ossokine (Quelle: AEI)

Als ich am 15. September 2015 meine neue Tätigkeit als Postdoc am AEI in Potsdam begann, erfuhr ich quasi als Erstes direkt am Morgen von Prof. Alessandra Buonanno, dass es eine mögliche Gravitationswellen-Detektion gegeben hat. Natürlich hat mich das komplett umgehauen: Das war mein erster Arbeitstag und ich war gerade erst der  LIGO Scientific Collaboration beigetreten. Im selben Moment sollte ich nun bereits eine numerische Wellenform produzieren, die die Parameter dieses Ereignisses reproduzieren konnte.

Serguei Ossokine, seit September 2015 Postdoc und wissenschaftlicher Programmierer am AEI in Potsdam

Was sind Gravitationswellen?

Gravitationswellen sind kleinste Wellen in dem Gebilde der Raumzeit. So besagt Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, dass beschleunigte Massen die Raumzeit-Geometrie in ihrer direkten Umgebung verformen. Diese Störungen breiten sich von der Quelle aus mit endlicher Geschwindigkeit in Wellenform aus und ihre Schwingungen spiegeln die zeitliche Veränderung der Materieverteilung wider.

Wenn Gravitationswellen von astrophysikalischen Quellen wie verschmelzenden Schwarzen Löchern oder Sternexplosionen ausgesandt werden, verändern sie kilometerlange Distanzen minimal, und zwar etwa um das Tausendstel des Durchmessers eines Protons (10-18 Meter). Um diesen minimalen Effekt zu messen, werden für Gravitationswellendetektoren kilometerlange Interferometer gebaut, an deren Enden Spiegel hängen. Nach vielen Jahren Arbeit, haben diese Detektoren im Herbst 2015 schließlich eine so hohe Sensitivität erreicht, dass sie Gravitationswellen tatsächlich messen können.

Die erste Beobachtung des "Gravitations-Universums" hat eine neue Ära in der Astronomie und in der Fundamentalphysik eröffnet.

Detektion von Gravitationswellen mit LIGO

In den Bundesstaaten Washington und Louisiana in den USA stehen die zwei Detektoren des Gravitationswellen-Observatoriums LIGO (Laser Interferometer Gravitational Wave Observatory). An jedem Standort werden Laserstrahlen in vier Kilometer langen L-förmigen Vakuumröhren hin- und hergeschickt, und so die Entfernung zwischen zwei Spiegeln an den beiden Enden sehr präzise bestimmt. Dadurch können winzige Stauchungen und Dehnungen des Raums gemessen werden, die durch eine durchziehende Gravitationswelle hervorgerufen werden. LIGO kann dabei minimale räumliche Verzerrungen messen, die so klein sind wie 1/10.000 des Durchmessers eines Protons! Das ist so, als würde man die Entfernung zu dem uns nächsten Stern mit einer Genauigkeit von weniger als dem Durchmesser eines menschlichen Haares bestimmen.

Am 14. September 2015 haben beide LIGO-Detektoren ein Signal einer Gravitationswelle detektiert, die von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern in etwa 1,3 Milliarden Lichtjahren Entfernung stammt. Dies war das erste Mal, das Gravitationswellen auf der Erde beobachtet wurden! Es war auch die erste Entdeckung der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher. Seit der ersten Messung wurden viele weitere Doppelsysteme Schwarzer Löcher und auch Doppelneutronensterne beobachtet. Im Jahr 2017 kam das europäische Gravitationswellen-Observatorium Virgo zum Netzwerk der Detektoren hinzu. Es misst nun ebenfalls Gravitationswellen und verbessert so die Lokalisierung der Quellen am Himmel.

AEI-Forscherinnen und Forscher haben wesentliche Beiträge zur Messung, Beobachtung und Interpretation von Gravitationswellensignalen geleistet. Ein Schwerpunktbereich in Professor Buonanno's Abteilung „Astrophysikalische und kosmologische Relativitätstheorie“ am AEI in Potsdam ist die Entwicklung von hochpräzisen Modellen von Gravitationswellenformen. Eben diese Modelle werden nun auch für die Suche nach verschmelzenden Doppelsternsystemen in LIGO- und Virgo-Daten genutzt und sind entscheidend für die Messung und Analyse der Gravitationswellensignale. Gleichzeitig können aus den Modellen die astrophysikalischen und kosmologischen Parameter einer Quelle abgeleitet werden, und die Allgemeine Relativitätstheorie im hochdynamischen Bereich starker Felder überprüft werden.

Wie wird man Teil der Gravitationswellen-Forschungs-Community?

Die Suche nach den am vielversprechendsten Quellen von Gravitationswellen – Doppelsternsysteme aus Schwarzen Löchern und/oder Neutronensternen – setzt detailliertes Wissen voraus, wie die erwarteten Signale aussehen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Abteilung “Astrophysikalische und kosmologische Relativitätstheorie” am AEI entwickeln ausgefeilte analytische und numerische Methoden, um Einsteins Gleichungen zu lösen und hoch akkurate Templates zu erstellen. Diese Wellenformmodelle werden auch für die Suche und die anschließende Analyse der Quelleigenschaften genutzt. Sie erlauben die Herleitung einzigartiger astrophysikalischer und kosmologischer Information von den beobachteten Signalen und den Test der Allgemeinen Relativitätstheorie im Regime starker Felder.

Zwei Beispiele von jungen Forschern die in Potsdam im Bereich von Gravitationswellen forschen bzw. forschten: Dr. Andrea Taracchini, Postdoc am AEI in Potsdam in den Jahren 2014 - 2017, entwickelte bereits im Rahmen seiner Doktorarbeit unter Betreuung von Prof. Buonanno an der University of Maryland Wellenformmodelle für Schwarzloch-Doppelsternsysteme. Diese Modelle wurden für die erste Beobachtung von Gravitationswellen eines verschmelzenden Doppelsternsystems genutzt. Serguei Ossokine, der im September 2015 gerade erst als Postdoc nach Potsdam gewechselt war, entwickelte die numerischen Simulationen für das mit LIGO detektierte Schwarzlochsystem und verglich sein Template mit dem gemessenen Signal.